Über die Entwicklung der letzten 35 Jahre
Palliativmedizin & Hospizbewegung
Schwerstkranke und Sterbende sollen während ihrer letzten Lebensphase nicht auf Geborgenheit und eine vertrauensvolle Begleitung verzichten müssen. Die oftmals quälenden Begleitsymptome der nicht heilbaren Grunderkrankung wie Schmerzen, Atemnot, Übelkeit u.a. sollen wirksam gelindert werden, um so eine bestmögliche Lebensqualität für die Erkrankten und ihre Angehörigen zu gewährleisten. Diese Betreuung leisten heute stationäre Hospize und Palliativstationen und im häuslichen Umfeld Teams der spezialisierten ambulanten PalliativVersorgung (SAPV). Unabhängig vom Ort der Versorgung sollen Prävention und Linderung von Leid für alle Menschen mit lebensbedrohlichen, nicht heilbaren Erkrankungen im Mittelpunkt aller ärztlichen und pflegerischen Maßnahmen stehen.
So war das nicht immer. Was heute vielen Menschen zugutekommt, ist eine vergleichsweise junge Errungenschaft. Erst vor gut 35 Jahren haben Hospizbewegung und Palliativmedizin in Deutschland begonnen, wesentliche Schritte auf dem Weg zur Verbesserung der Lebensqualität sterbender Menschen zu vollziehen. Cicely Saunders gilt als Begründerin der Hospiz- und Palliativbewegung. Sie war Krankenschwester, Sozialarbeiterin und Ärztin. Schon 1967 hat sie mit dem St. Christophers Hospiz in Sydenham im Südosten Londons das erste Hospiz eröffnet und bereits in den frühen 1960ern definierte sie den Begriff „Total Pain“, was bedeutet, dass Schmerz eine physische, psychische, soziale und spirituelle Dimension beinhaltet. Die Menschen auf allen Ebenen bis zum Lebensende würdevoll und selbstbestimmt zu versorgen und zu begleiten ist heute Leitbild und Ziel der Hospizbewegung. Palliative Versorgung hat sich in der Betreuung unheilbar Erkrankter etabliert. Sie erfordert vernetzte multiprofessionelle und interdisziplinäre Zusammenarbeit und besondere kommunikative Fähigkeiten. Einfühlungsvermögen und präsente Aufmerksamkeit sind hier von noch größerer Bedeutung als in anderen medizinischen und pflegerischen Versorgungsbereichen. Es ist nicht nur eine spezialisierte Fachrichtung, sondern auch eine ethische Grundeinstellung zum ärztlichen und pflegerischen Handeln, und zwar immer dann, wenn es um Schwerstkranke geht. Den Satz „Wir können nichts mehr für Sie tun“ gibt es nicht mehr. Palliative Care und Palliativmedizin sind ganzheitliche Therapien, die den Anspruch haben, alle Facetten des menschlichen Daseins – physisch, psychisch, spirituell und sozial – zu berücksichtigen. Inzwischen ist Hospizarbeit und Palliativversorgung in unserem Gesundheitswesen fest verankert und wird sich bedarfsorientiert weiterentwickeln müssen.
Die Idee weitet sich aus – wichtige Eckpunkte der Entwicklung
Was 1967 in London mit der Gründung des St. Christopher's Hospiz durch Cicely Saunders begann und 1975 mit der Einrichtung der ersten Palliativstation durch Balfour Mount am Royal Victoria Hospital in Montreal fortgesetzt wurde, hat weltweit für weitreichende Verbesserungen in der Versorgung schwerstkranker Menschen gesorgt. Hier eine Chronoligie:
- 1983 Gründung der ersten Palliativstation auf Initiative von Pater H. Zielinski und Prof. Dr. Dr. H. Pichlmaier an der Chirurgischen Universitätsklinik Köln mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe (heute "Dr. Mildred Scheel Haus für Palliativmedizin").
- 1986 Eröffnung des ersten stationären Hospizes in Aachen (Haus Hörn).
- 1992 Gründung der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz als Dachverband der Hospizbewegung (heute: Deutscher Hospiz-und Palliativ Verband e.V. DHPV)
- 1994 Gründung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) als wissenschaftliche Fachgesellschaft.
- 1994 Eröffnung des Christophorus Hauses in Frankfurt a.M. als erstes Hospiz, das jedoch nach einem Jahr schließen musste, da es nicht in den Krankenhausbedarfsplan aufgenommen wurde.
- 1996 In Frankfurt a.M. wird auf Anregung und unter wesentlicher Mitwirkung von Professor Dr. Ulrich Gottstein das "Evangelische Hospital für Palliative Medizin" im Rechneigraben eröffnet.
- 1997 Von den Krankenkassen werden gesetzlich festgelegte Mindestzuschüsse zur vollstationären Hospizversorgung gezahlt.
- 1997 Etablierung von Curricula der Palliativmedizin für Studenten, Ärzte, Krankenpflegepersonal, Sozialarbeiter und Seelsorge.
- 1998 Abschluss einer Rahmenvereinbarung zwischen Krankenkassen und Hospizträgern zur Sicherung der Qualität der stationären Hospiz-versorgung, die die Finanzierung der Hospizarbeit sicherstellt (gem. § 39a Abs. 1 Satz 4 SGB V)
- 1999 Einrichtung der Sackler-Stiftungs-Professur für Palliativmedizin an der Universität Bonn.
- 2002 Gründung der ambulanten Hospizgruppe am Bürgerinstitut in Frankfurt a.M.
- 2003 Gründung des Hospizvereines Sankt Katharina e.V. in Frankfurt a.M. mit dem Ziel der Errichtung eines stationären Hospizes, ideeller und materieller Unterstützung des in Frankfurt Bornheim geplanten stationären Hospizes.
- 2003 Errichtung des ersten Lehrstuhles für Palliativmedizin an der Universität Aachen. Weitere Lehrstühle für Palliativmedizin wurden an den Universitäten Bonn, Erlangen, Freiburg, Göttingen, Hamburg, Köln, Mainz, München und Witten/Herdecke (pädiatrische Palliativmedizin) geschaffen.
- 2003 Der Deutsche Ärztetag hat Palliativmedizin als Zusatzweiterbildung in die Weiterbildungsordnung aufgenommen.
- 2004 Ärztinnen und Ärzte haben die Möglichkeit, eine Zusatz-Weiterbildung im Fach Palliativmedizin zu absolvieren.
- 2005 Eröffnung des stationären Hospizes Sankt Katharina in Frankfurt a. M. mit zunächst 9 und nachfolgend 12 Betten.
- 2007 Gesetzliche Festlegung eines Anspruches unheilbar Erkrankter in Deutschland auf eine spezialisierte ambulante Palliativversorgung (§ 37b und 132 d SGB V).
- 2009 Eröffnung des Evangelischen Hospizes in Frankfurt a.M.
- 2010 Veröffentlichung der "Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland". Herausgeber: Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e.V., Deutscher Hospiz -und Palliativ Verband e. V und Bundesärztekammer.
- 2014 Medizinstudenten, die ihr 2. Staatsexamen ablegen, müssen auch im Fach Schmerz- und Palliativmedizin Leistungsnachweise erbringen.
- Bis 2016 haben sich nahezu 10.000 Palliativmediziner qualifiziert.
Erfolge der Entwicklung
- „Palliative Care“ im Sinne von Cicely Saunders Anliegen ist längst ein Begriff. Für Pflegefachkräfte gibt es berufsbegleitende Weiterbildungen mit entsprechend qualifizierten Abschlüssen. Auch zahlreiche andere soziale Berufe können diese Möglichkeit zur Weiterbildung nutzen.
- Für Hochschulabsolventen, die bereits einen Abschluss in z.B. Pflegewissenschaft, Psychologie, Sozialwissenschaft, Theologie nachweisen können, bieten verschiedene Universitäten inzwischen auch Studiengänge an, die mit dem akademischen Grad „Master of Science (MSc) in Palliative Care“ abschließen.
- Die Zahl der stationären Einrichtungen hat sich vervielfacht. Heute gibt es in Deutschland (Stand 2016) 235 stationäre Hospize und mehr als 300 Palliativstationen in Krankenhäusern. 214 stationäre Erwachsenen-Hospize verfügen über ca. 10 Betten, d.h. es gibt ca. 2140 Hospizbetten, in denen pro Jahr ca. 30.000 Menschen versorgt werden. In Frankfurt a.M gibt es zur Zeit 61 Betten auf Palliativstationen und 24 Betten in den beiden Hospizen.
- Die ambulanten Hospiz- und Palliativdienste haben sich seit 1996 mehr als verdreifacht. Stand April 2016 gibt es in Deutschland rund 1500 ambulante Einrichtungen einschließlich der Dienste für Kinder.
- In der Spezialisierten ambulanten Palliativversorgung (SAPV) gibt es 300 Teams, die im häuslichen Einsatz Schwerstkranke und Sterbende versorgen, davon drei in Frankfurt a.M..
- Mehr als 100.000 Menschen unterstützen die Arbeit, indem sie sich ehrenamtlich und hauptamtlich engagieren. Die ehrenamtliche Arbeit ist eine besondere Stärke der Hospizbewegung und die Brücke zur Gesellschaft. Ehrenamtliche geben den schwerstkranken und sterbenden Menschen und ihren Angehörigen Nähe und Zuwendung und das Vertrauen, in ihrer letzten Lebensphase nicht allein zu sein.
Die Entwicklung geht weiter
Mit dem Gesetz zur Stärkung der Hospiz- und Palliativversorgung unterstützt die Bundesregierung die Weiterentwicklung der Hospizkultur und Palliativ-Versorgung. Die Bertelsmann Stiftung hat im Jahre 2016 auf der Basis von Recherchen und Interviews mit Betroffenen einen „Faktencheck“ erstellt, die Schwachstellen in der Versorgung ausweist und erhebliche regionale Unterschiede deutlich macht. Die daraus resultierenden Handlungsempfeh-lungen an Politik, Krankenkassen und Leistungserbringer verfolgen die Absicht, die Versorgung am Lebensende künftig näher an Patientenwünschen zu orientieren.
- Ambulante Versorgung stärken
Die meisten Menschen möchten in ihrer gewohnten Umgebung, also zu Hause, sterben. Dazu muss die ambulante Versorgung gestärkt werden und die Palliativmedizin stärker in die Regelversorgung eingebunden sein. Verbessert werden soll die Vernetzung von allgemeiner und spezialisierter Palliativversorgung, Hausärzte sollten mehr Weiterbildung erhalten, um den palliativen Betreuungsbedarf zu erkennen und die Versorgung am Lebensende vorausschauend planen zu können.
- Stationäre Versorgung sinnvoll ergänzen
Die stationäre Hospiz- und Palliativversorgung sollte trotz der erreichten Versorgungsdichte gezielt und bedarfsgerecht weiter ausgebaut werden,
Palliativversorgung sollte auf allen Stationen der Krankenhäuser möglich sein, Palliativbeauftragte und Palliativkonsiliardienste sollten das unterstützen.
- Information, Beratung und Vernetzung ausbauen
Die Bevölkerung muss verstärkt darüber informiert werden, was Palliativversorgung leistet und wie sie sich finanziert.
Der weitere Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung sollte der Bertelsmann-Studie zufolge den Grundsätzen „ambulant vor stationär“ und „allgemein vor spezialisiert“ er folgen.
Frankfurt ist eine Stadt mit einem hohen Anteil an Single-Haushalten. Bis 2005 gab es kein stationäres Hospiz, in dem alleinstehende Menschen im Sinne von Palliative Care begleitet werden konnten. Um diese Versorgungslücke zu schließen haben sich engagierte Menschen aus Medizin und Politik zusammengetan und den Hospizverein Sankt Katharina e.V. gegründet. In weniger als zwei Jahren konnte dank großzügiger Spenden am 22. April 2005 das Hospiz Sankt Katharina eingeweiht werden. Seitdem wurden hier rund 1.400 Menschen bis zuletzt begleitet. Das Befinden einiger Schwerstkranken hat sich unter der fürsorglichen und umfassenden Betreuung so verbessert, dass sie nach Hause entlassen werden konnten.
Fazit: Ausgehend von Großbritannien fanden die Konzepte der Hospizbewegung und der Palliativmedizin in den letzten Jahrzehnten uneingeschränkte Anerkennung und eine rasche Ausbreitung in unserem Gesundheitssystem. In den kommenden Jahren werden bedingt durch den demografischen Wandel mehr Menschen einer umfassenden palliativen Betreuung bedürfen. Gesetzliche und regulatorische Vorgaben müssen für die Zukunft eine flächendeckende und für alle Betroffenen zugängliche palliative Versorgung für das Gesamtspektrum unheilbarer Erkrankungen im stationären und ambulanten Bereich ebenso wie in Pflegeeinrichtungen ermöglichen.
Zur Info:
Online-Wegweiser der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin www.wegweiser-hospiz-palliativmedizin.de.
Netzwerk Palliativ und Hospiz Care auf www.frankfurt.de
Quellen: Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Faktencheck Gesundheit Bertelsmann Stiftung, Wikipedia, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Gesundheitsberichterstattung des Bundes, Grafik Bertelsmann Stiftung